: Erfolg kostet auch in Stuttgart Geld
Nach dem 3:2-Sieg im Schwabenland korrigiert Bayer Leverkusen das Saisonziel. Derweil investiert der VfB ins Team
STUTTGART taz ■ Die Wortkaskaden sprudelten aus dem Mund des dicken Mannes wie Wasser aus einer unversiegbaren Quelle. Reiner Calmund war nach dem 3:2-Auswärtssieg seines Lebenswerkes Bayer Leverkusen beim VfB Stuttgart bester Dinge. „Großartig“, fand er, „wie die Mannschaft nach fünf sieglosen Spielen heute gebissen hat.“ „Großartig“, fand der Geschäftsführer von Bayer auch, wie Dimitar Berbatov „sein Potenzial heute abgerufen hat“. Der bullige Bulgare mit dem Hang zum Phlegma erzielte zwei Treffer mit der Schlitzohrigkeit eines Trickdiebs. Und „großartig“ fand der Calli auch die Rückkehr von Carsten Ramelow. Der eisenfüßige Kapitän schoss die Rheinländer schon früh mit einem Strahl aus 20 Metern in Führung.
Großartig, großartig, großartig. Und weil alles so großartig war, verkündete Calmund auch: „Wir revidieren unser Saisonziel. Ziel ist nicht mehr ein einstelliger Tabellenplatz, sondern ein Platz zwischen eins und fünf.“ Und auch Trainer Klaus Augenthaler bekräftigte mit der ihm angeboren zu scheinenden Mürrigkeit: „Das müsste mit dieser Mannschaft drin sein.“
Gemeinsam mit der habe man die Neujustierung beschlossen, erläuterte Calmund, ein großer Meister im Führen weitreichender Hintergrundgespräche. Nötig war ein solches auch mit seinem Freund, der große Buchstaben drucken lässt. Ganz weit weg vom Trubel hatten sich die beiden in eine stille Ecke verkrochen. „Ich muss vorsichtig sein mit Kritik, sonst schreibt die Bild-Zeitung wieder, die Mannschaft wolle nicht mehr mit mir zusammenarbeiten“, läutete Augenthaler derweil beleidigt seine wie immer kurze Rede bei der Pressekonferenz ein. Fünf sieglose Spiele gehen in der Bundesliga eben nicht unbeleuchtet vom Boulevard vorbei.
Aber der Calli wird schon die richtigen Worte gefunden haben in dieser Nacht in Stuttgart, in der alles eine so gute Wendung nahm für Bayer nach der kleinen Krise, und das kurz vor Weihnachten. Die große Krise haben die Fußballer des Chemie-Giganten ohnehin schon lange hinter sich: den grandiosen Absturz vom Champions-League-Finalisten zum Fast-Absteiger.
Eine Ahnung davon, wie sich der tiefe Fall von umjubelten Helden zu verspotteten Deppen anfühlt, haben die Himmelstürmer vom VfB Stuttgart in den letzten Wochen schon auch erhalten. Seit sechs Pflichtspielen sind sie nun schon ohne Sieg. Und keiner im Lager der Schwaben verhehlte, dass die Winterpause zum rechten Zeitpunkt kommt. „Ganz klar, wir präsentieren uns nicht mehr so frisch wie zu Beginn der Saison“, sah nicht nur Felix Magath einen deutlichen Kräfteverlust bei seiner Mannschaft. Ausdruck fand dieser in zahlreichen derben Fehlpässen sowie zeitlupenhafter Verzögerung im Erkennen von Spielsituationen. Dreimal musste das Torwart-Titanle Timo Hildebrand bei der ersten Heimniederlage das Runde aus seinem Netz fischen. Zuvor waren es nur rekordverdächtige vier Tore, die er in 16 Spielen kassiert hatte. Kapitän Zvonimir Soldo traf ebenso wie Kevin Kuranyi für die Stuttgarter, deren Sehnsucht nach Ruhe und Erholung nicht nur auf dem Platz zum Himmel schrie. „Wir brauchen die Pause jetzt“, sagte Soldo. Vielleicht ist es psychologisch gar nicht so schlecht für die Euphorisierten, mit einem Dämpfer im Kopf die Beine hochzulegen.
Der gibt ihnen immerhin die Erkenntnis, dass nichts von alleine geht und Erfolge immer wieder neu erarbeitet und erspielt werden muss. Dafür wird auch Felix Magath sorgen. Der Blick des Baumeisters des Stuttgarter Erfolges geht schon lange in die Zukunft. Schon vor Wochen forderte er Verstärkungen für seinen Kader, in dieser Woche gab der Verein seine Zustimmung, schon zu Rückrundenbeginn soll investiert werden.
Der Erfolg kommt die Schwaben somit teuer zu stehen: Die Vertragsverlängerungen von Hinkel und Kuranyi kosteten viel, die von Hildebrand und Bordon werden es auch tun. Der Schuldenberg aus der Ära Mayer-Vorfelder wird somit nicht komplett abgebaut mit den Erlösen aus der Champions League. Das finanzielle Niveau wiederum wird nur gehalten werden können, wenn auch der sportliche Erfolg ähnlich groß bleibt wie in der Vorrunde. Für Trainer Magath bedeutet das erneut jede Menge Arbeit. TOBIAS SCHÄCHTER
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